„Obwohl von Frauen geführte Unternehmen langfristig oft profitabler und umsatzstärker sind, machen strukturelle Hürden und traditionelle Rollenbilder es Unternehmerinnen schwer!“

Interview mit Aysin Mese, Geschäftsführerin Deutsche Unternehmensbörse DUB
Sie haben umfassende Erfahrung unter anderem im Employer Branding und Recruiting sowie bei der DUB. Wie sehen Sie die Rolle von Frauen in der Unternehmensnachfolge?
Es ist erfreulich zu sehen, dass immer mehr Frauen in diesem Bereich sichtbar werden – Beispiele wie Elena von Metzler, der Gesellschafterin des Bankhauses Metzler, zeigen eindrucksvoll, wie kompetent und sympathisch Frauen in Führungspositionen agieren können. Dennoch bleiben die Zahlen hinter den Erwartungen zurück: Der Anteil von Nachfolgerinnen erreicht selten mehr als 20 Prozent. Das hat mit tief verankerten patriarchalen Strukturen zu tun, die oftmals unbewusst wirken, außerdem mit dem Umstand, dass das Unternehmertum nach wie vor nicht als besonders familienfreundlich wahrgenommen wird. Besonders in Zeiten von Corona wurde deutlich, wie stark die traditionellen Rollenmuster wieder verstärkt wurden – Frauen stehen vor doppelten Herausforderungen, wenn sie Familie und unternehmerische Verantwortung vereinbaren sollen.
Ein Blick auf Zahlen zeigt, dass der Anteil weiblicher Unternehmensnachfolgen von einem Höchststand von 19,7 Prozent im Jahr 2022 auf aktuell rund 14,3 Prozent gefallen ist. Wie erklären Sie diesen Rückgang, und was bräuchte es, um wieder mehr Frauen für Unternehmensnachfolgen zu begeistern?
Der Rückgang hängt unter anderem damit zusammen, dass Unternehmensnachfolgen oft familienintern geregelt werden – hier übernehmen traditionell die Söhne. Außerdem spielt die Risikoaversion eine Rolle: Frauen neigen aufgrund mangelnder Netzwerke und erschwerter Finanzierungsbedingungen dazu, vorsichtiger zu agieren. Besonders in der Pandemie wurde deutlich, dass Familienfreundlichkeit und flexible Arbeitsmodelle noch nicht ausreichend entwickelt sind. Um mehr Frauen zu motivieren, bedarf es gezielter Förderprogramme, besserer Beratungsstrukturen und klarer Vorbilder, die zeigen, dass Unternehmerinnentum nicht nur möglich, sondern auch wirtschaftlich erfolgreich ist.
79 Prozent der weiblichen Führungskräfte leiten Kleinstunternehmen mit weniger als fünf Mitarbeitenden. Spiegelt das die Herausforderungen und Strukturen wider, mit denen Nachfolgerinnen konfrontiert sind?
Diese Zahl zeigt, dass Frauen oft den Einstieg in die Unternehmensnachfolge über kleinere Betriebe wählen. Das liegt häufig daran, dass größere Unternehmen höhere finanzielle Anforderungen haben und Banken Frauen in der Kreditvergabe noch immer skeptischer gegenüberstehen. Zudem spielen persönliche Faktoren eine Rolle: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird besonders von Frauen stärker gewichtet, was sie dazu veranlasst, mit überschaubaren, besser planbaren Strukturen zu starten.
Rund 85 Prozent der weiblichen Führungskräfte sind im Dienstleistungssektor tätig. Gibt es Gründe, warum sich Frauen verstärkt in diese Branchen bewegen?
Der Dienstleistungssektor bietet oft flexiblere Strukturen und benötigt weniger Startkapital als produzierende Branchen. Historisch bedingt waren Bereiche wie Pflege, Bildung oder Kinderbetreuung traditionell in Frauenhand – diese Entwicklung setzt sich bis heute fort. Es zeigt sich aber auch, dass gesellschaftliche Erwartungen Frauen in bestimmte Berufsfelder lenken. Auch wenn die berufliche Spezialisierung in diesen Bereichen Vorteile bietet, sind Frauen in klassischen Männerdomänen wie Handwerk oder Industrie weiterhin mit größeren Hürden konfrontiert.
Welche Modelle der Unternehmensnachfolge bevorzugen Frauen?
Aus meiner Erfahrung wählen Frauen vorwiegend familieninterne Übernahmen oder Modelle wie den Management-Buy-In, bei denen das Risiko geringer ist. Die meisten Nachfolgerinnen übernehmen das Unternehmen innerhalb der Familie, während externe Übernahmen – die häufig höhere finanzielle Mittel und ein stärkeres Netzwerk erfordern – seltener sind. Bei Ehepaaren, die gemeinsam agieren, wird häufig auch in einer Holdingstruktur gearbeitet. Frauen legen oft einen bewussteren, strategisch durchdachten Entscheidungsprozess an den Tag, der auf tiefem Unternehmensverständnis basiert.
Sie haben traditionelle Rollenmuster und gesellschaftliche Erwartungen bereits angesprochen. Wie wirken sie sich auf den Zugang von Frauen zu Finanzierungen und Netzwerken aus?
Strukturelle Hürden führen dazu, dass Frauen häufig weniger Kredite oder kleinere Beträge erhalten als ihre männlichen Kollegen – dies liegt nicht nur an den Banken, sondern auch daran, dass Frauen seltener aktiv um Finanzierungen bitten. Zudem sind traditionelle Rollenbilder, etwa im Kontext von Kinderbetreuung oder familiären Verpflichtungen, nach wie vor präsent. Diese Doppelbelastung erschwert es vielen Unternehmerinnen, die nötige Zeit und Energie aufzubringen, um sich auch im unternehmerischen Bereich voll zu entfalten. Dabei zeigen Studien, dass Unternehmen, die von Frauen geführt werden, langfristig oft profitabler und umsatzstärker sind – gemischte Führungsteams erzielen in der Regel die besten Ergebnisse.
Was müsste sich gesellschaftlich oder politisch ändern, um den Anteil weiblicher Unternehmerinnen nachhaltig zu erhöhen? Und welchen Rat würden Sie einer Frau geben, die mit dem Gedanken spielt, ein Unternehmen zu übernehmen?
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss durch flexible Betreuungsangebote und familienfreundliche Arbeitsmodelle verbessert werden. Gesellschaftliches Umdenken ist notwendig: Frauen müssen alte Rollenbilder überwinden, ohne dass Kritik als „Rabenmutter“ erfolgt, wenn sie nicht ständig verfügbar sind. Mein Appell an potentielle Unternehmerinnen ist, sich gut zu informieren und vorzugsweise in ein bereits etabliertes Unternehmen einzusteigen, statt bei null anzufangen. Ein existierender Betrieb bringt oft bereits stabile Strukturen und ein eingespieltes Team mit sich. Gleichzeitig rate ich den abgebenden Unternehmern, frühzeitig einen strukturierten Nachfolgeprozess zu planen – nur so kann gewährleistet werden, dass der Übergang reibungslos verläuft.